Die rechtspolitische Debatte um die Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) in Europa hat sich im Kontext von Finanz-, Wirtschafts- und Schuldenkrise weiter zugespitzt. DAWI befinden sich nach wie vor inmitten eines unionsrechtlichen Spannungsfelds zwischen der Anerkennung (öffentlicher) Daseinsvorsorgepflicht einerseits und der Integration des europäischen Binnenmarkts andererseits. Die Europäischen Gesetzgeber haben sie im Vertrag von Amsterdam 1997 erstmals wörtlich adressiert. Für ihre präzise Verortung sind neben einer Reihe von primärrechtlichen Bestimmungen (vgl. Art 3,4,5, 6 EUV; Art 9,11,14,18,106-109 AEUV; Protokolle Nr. 2, 26) zahlreiche Sekundarrechtsakte, soft law sowie die EuGH-Judikatur maßgeblich.
Artikel 36 der Charta der Grundrechte regelt nun grundsätzlich, dass die EU den Zugang zu DAWI zu achten hat. Nach Artikel 14 AEUV tragen Union (Grundsätze) und Mitgliedstaaten (Organisation, Finanzierung, Erfüllung) für deren Funktionieren gemeinsam Sorge. Protokoll 26 zählt die 1) wichtige Rolle und den Ermessenspielraum nationaler, regionaler und lokaler Behörden bei der Erbringung, 2) die Vielfalt der jeweiligen DAWI und die Unterschiede bei den Bedürfnissen der Nutzer sowie 3) ein hohes Niveau in Bezug auf Qualität, Sicherheit, Bezahlbarkeit und Förderung des universellen Zugangs zu DAWI als gemeinsame Werte der EU auf. Es stellt ferner klar, dass die Verträge die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für allgemeine Dienste nicht-wirtschaftlichen Charakters (Organisation, Beauftragung, Erbringung) in keiner Weise berühren.
Nach Artikel 4 EUV hat die Union die jeweilige nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt, anzuerkennen. Hierfür dienen etwa die Prinzipien der beschränkten Einzelermächtigung, Verhältnismäßigkeit und Subsidiarität als Grundlage. Doch legt Artikel 106 AEUV fest, dass Mitgliedstaaten in Bezug auf öffentliche Unternehmen keine den Verträgen widersprechende Maßnahmen treffen dürfen. Mit DAWI betraute Unternehmen unterliegen dem europäischen Wettbewerbsrecht (vgl. u.a. Art 18, 101-109 AEUV), soweit dessen Anwendung nicht die Erfüllung der übertragenen Aufgaben verhindert.
Auf dieser Basis konkretisiert eine Reihe von Sekundärrechtsakten den Handlungsspielraum in der Organisation, Finanzierung und Erbringung von DAWI – für verschiedene Wirtschaftsbereiche in unterschiedlichem Ausmaß! Die wichtigsten seien hier beispielhaft genannt: 1) Die Vergaberichtlinien (RL17/2004/EG, RL18/2004/EG – in Revision), 2) das Monti-Kroes-Paket zu staatlichen Beihilfen (2005/842/EG, 2005/C 297/04 sowie RL 2006/111/EG – in Revision), 3) die Dienstleistungsrichtlinie (RL 2006/123/EG) und 4) die Sektorenregelungen (RL 2002/22/EU, RL 2008/6/EG, RL 2009/72/EU, VO (EG) 1008/2008).
Der Einfluss von soft law (Mitteilungen der Europäischen Kommission) ist trotz seiner rechtlichen Unverbindlichkeit nicht zu unterschätzen. Die (fallrechtliche) Interpretation der Bestimmungen obliegt jedoch alleine dem EuGH. Dessen umfangreiche, zahlreiche Einzelfragen adressierende Judikatur (z. b. Urteile C-280/00 Altmark-Trans, C-108/98 Teckal, C-340/04 Carbotermo, C-573/07 Sea, C-26/03 Stadt Halle, C-480/06 Stadtreinigung Hamburg, C-324/07 Coditel, C-206/08 WAVZ Gotha, C-295/05 ASEMFO/Tragsa, C-327/04 Watts u.v.a.) ist für die Rechtssicherheit in der Planung, Organisation und Finanzierung von DAWI von zentraler Bedeutung. Die Kommission hütet die Verträge und hat ein Initiativrecht inne, wenn es an die Neuregelung von Teilaspekten geht. Der Zentralverband der öffentlichen Wirtschaft (CEEP) arbeitet sukzessive für rechtliche Klarstellungen im Sinne der öffentlichen Daseinsvorsorge in Europa.